Staatsanwältin verlangt 20 Monate für Aargauer Alt-Grossrat
Beim Angeklagten handle es sich «eigentlich um einen Durchschnittsbürger», sagte die Staatsanwältin am Dienstag. Sie gehe davon aus, dass niemand in seinem Umfeld von seinen Taten gewusst oder ihm so etwas zugetraut habe.
Bereits 2018 konnte aus einer Spermaspur an einem Tatort die DNA des Beschuldigten ermittelt werden. Weil er polizeilich nicht registriert war, wurde er allerdings damals nicht gefunden, wie die Staatsanwältin sagte.
Als man ihn im Sommer 2022 auf frischer Tat ertappt habe, habe sich der Beschuldigte zuerst sehr kooperativ verhalten und auch den Ersatzmassnahmen, einer psychiatrischen Behandlung und einer Meldepflicht, zugestimmt. Exhibitionismus sei eine psychische Störung, die man behandeln könne, erläuterte die Staatsanwältin.
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Daten gelöscht und Badehose versteckt
Der Beschuldigte habe gesagt, er schäme sich sehr für seine Taten. Er habe jedoch bestritten, handgreiflich geworden zu sein. Zu konkreten Vorfällen befragt, habe er dann häufig gesagt, er könne sich nicht erinnern oder er habe die Taten bestritten.
Er habe wiederholt versucht, Spuren zu vertuschen. Zwar habe er das Passwort für seine Fitnessuhr angegeben, aber kurz darauf vom Computer aus alle Daten gelöscht. Somit hätten seine Bewegungen nicht mehr nachverfolgt werden können. Bei der Hausdurchsuchung habe er versucht, Badehosen und Mützen vor der Polizei zu verstecken, die er bei den Taten getragen hatte.
«Die Frauen und Mädchen haben glaubhaft von ihren Erinnerungen erzählt», sagte die Staatsanwältin, «wenn sie etwas erfinden würden, wäre es kaum so detailreich und lebhaft.» Viele Aussagen von verschiedenen Opfern, die sich mehrheitlich nicht gekannt hätten, seien übereinstimmend.
5 Jahre Probezeit
Schwer wögen die Taten, weil auch Mädchen von 13 bis 15 Jahren betroffen gewesen seien. Wegen mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern, Exhibitionismus, sexueller Nötigung sowie Hinderung einer Amtshandlung sowie Irreführung von Behörden und Beamten soll der Angeklagte eine Freiheitsstrafe von 20 Monaten sowie eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen erhalten, verlangte die Staatsanwältin.
Beides bedingt mit einer Probezeit von 5 Jahren. Es besteht laut Staatsanwältin eine gewisse Rückfallgefahr. Dazu soll eine Busse von 300 Franken kommen.
Zudem verlangt die Staatsanwältin für den Mann ein lebenslanges Tätigkeitsverbot mit Jugendlichen. Die schon laufenden Ersatzmassnahmen sollen beibehalten werden. Bereits seit einiger Zeit ist der 55-Jährige in psychiatrischer Behandlung und nimmt Antidepressiva zu sich, wie es hiess.
Keine Fluchtgefahr
Der amtliche Verteidiger zeigte sich mit dem Tätigkeitsverbot einverstanden. Die Ersatzmassnahmen seien weiterzuführen, ausser der Schriftensperre, also der Beschlagnahmung von Pass und Identitätskarte. Es bestehe keine Fluchtgefahr.
Als Strafmass beantragte der Verteidiger 18 Monate und 90 Tagessätze, bedingt auf 4 Jahre. Dies wäre «eine gerechte Strafe, die auch die Opfer nachvollziehen können.» Seinem Mandanten sei klar geworden, dass die Opfer etwas Negatives erlebt hätten. Obwohl er in manchen Fällen Zweifel habe, dass wirklich er der Täter war.
Er könne sich bei vielen Fällen der ihm ab 2017 angelasteten Taten nicht erinnern. Es sei gut möglich, dass andere Männer mit exhibitionistischen Absichten in diesem Gebiet unterwegs waren. Weiter sei ein Teil der Delikte verjährt.
Lebenslang gestempelt
Dem 55-Jährigen sei es wichtig, «für die Gesellschaft wieder zu einem valablen Bürger» zu werden. Dabei sei ihm klar, dass er lebenslang gestempelt sei nach seinen Taten. Zudem bat der Verteidiger, dem Klienten einen Teil der hohen Kosten zu erlassen.
In seinem Schlusswort sagte der Angeklagte, er hoffe für die Opfer, dass sie «mit dieser Sache jetzt auch abschliessen können». Er habe grossen Respekt vor diesen Frauen und wünsche ihnen alles Gute. «Ich hoffe, sie müssen so etwas nicht mehr erleben.»
«Befragungen haben mich getroffen gemacht»
Am Vormittag sagte der Beschuldigte Ex-Grossrat bei der Einvernahme: «Die Befragungen der Frauen haben mich sehr betroffen gemacht. Es tut mir leid für alle, die etwas Traumatisches erleben mussten».
An die Details könne er sich nicht mehr erinnern, sagte der Angeklagte zu vielen der Vorfälle aus den Jahren 2017 bis 2022. Physische Gewalt sei für ihn «ein No-Go», weil er selber in seiner Kindheit viel Gewalt erlebt habe. Und er sei nicht bewusst minderjährige Mädchen angegangen.
Alter junger Frauen schwierig abzuschätzen
«Oftmals habe ich die Frauen vorher nur von hinten gesehen und konnte das Alter nicht abschätzen.» Es sei sicher nicht sein Ziel gewesen, Minderjährige zu missbrauchen.
Das Alter junger Frauen sei, je nach Aussehen, manchmal schwierig abzuschätzen. Weil ein Teil der Opfer zwischen 13 und 15 Jahren alt waren, ist er der «mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern» angeklagt.
«Nie nach der Zeit gefragt»
Viele der weiteren Vorfälle bestritt der Angeklagte. «Ich habe nie nach der Zeit gefragt», sagte der 55-Jährige. Mehrere Zeuginnen hatten ausgesagt, dass der Mann sich bei seinen exhibitionistischen Handlungen zuerst nach der Zeit erkundigt habe.
Auch dass er nackt auf dem Velo unterwegs gewesen sei, bestritt der Angeklagte: «Ich bin nie nackt Velo gefahren.» Auf dem Foto, das ein Opfer mit dem Smartphone gemacht hatte, wollte sich der Angeklagte nicht erkennen.
Das Urteil will das Gericht erst am 16. Dezember bekannt geben.
(sda)